Welche Spuren hat das Judentum in Wolfenbüttel hinterlassen? Diese Frage hat etwa 10 Personen am 2. September bei einem Gebetsspaziergang in der Welfenstadt geleitet. Dabei ist schnell deutlich geworden: Die Geschichte der Juden in Wolfenbüttel ist leider keine Ausnahme in unserer jüngeren deutschen Geschichte gewesen. Wer durch die Straßen dieser Stadt geht, „stolpert“ doch recht oft über die Stolpersteine, die engagierte Bürger gegen das Vergessen auf den Gehwegen eingebracht haben. Juden wurden drangsaliert, deportiert und ermordet. Dabei fing ihre Geschichte eigentlich hoffnungsvoll an. Ein Jude namens Marcus Gumpel Fulda ben Mose kaufte das Eckhaus am Holzmarkt unweit der Trinitatiskirche. In ihm gab es einen Gebetsraum und vor allem viel Gastlichkeit. Diese Haus wurde so sehr Anziehungspunkt auswärtiger Juden, dass ein Wolfenbüttler Magistrat klagte, dass Gumpel Fulda „die fremden Juden so häufig in die Stadt hereinzieht, dass die Straßen davon ganz vollgehen“. Dieses Haus war dann auch die erste Station unseres Spazierganges. Bei jeder Station wurde die Geschichte in Erinnerung gerufen, aus der Heiligen Schrift gelesen und für Israel gebetet. Die weiteren Stationen waren die Wolfenbüttler Judenhäuser, die alte Synagoge, sowie die alte Samsonschule. Danach hielten wir beim jüdischen Gedenkmal inne. Es ist so gestaltet, dass wuchtige, rostige Eisenplanken aus dem Boden ragen. Sie sollen an Eisenbahnschienen erinnern. Denn die Deportationen von Juden aus Wolfenbüttel geschahen mit der Eisenbahn. In den Zwischenräumen sind Steine als Zeichen des schweren Leids gestapelt. Ungeheuerlich steht unsere Schuld durch dieses Kunstwerk vor Augen! Geschichte ist wirksam. Auch und gerade diese Geschichte ist leider wirksam bis auf diesen Tag. Negative Haltungen können sich über Generationen „vererben“. Schuld kann wie ein dunkler Schatten über einer Stadt liegen. Ein weiter Aspekt unseres Gebetsspaziergangs konnte aufgezeigt werden: Die stellvertretende Buße. Gerade die Bibel kennt eine solche Buße. In den Büchern Esra und Nehemia wird davon berichtet. In Esra 9 wird z.B. erzählt, wie Esra nach einer Zeit der Buße betet: „Von der Zeit der Väter an sind wir in großer Schuld bis auf diesen Tag.“ Später heißt es, dass „wir“ Gottes Gebote verlassen haben, die durch die Propheten geboten wurden (10f). Auch hier schließt sich Esra mit früheren Generationen Israels unter den Propheten zusammen. Es geht nicht nur um seine Schuld. Es geht um Schuldzusammenhänge über lange Zeiträume. Solche Buße hat beim Mahnmal, aber auch am Ort der neuen Synagoge, die 1938 angezündet und zerstört wurde, Raum gefunden. Dieser Spaziergang war eine sehr intensive Zeit für alle Beteiligen. Wir werden Vergleichbares sicher in absehbarer Zeit wiederholen.

Robert Lau